Berlin, 25.10.2024
Pressemitteilung 07/2024
Nachruf
Wolfgang Schmidt ist am 14. Oktober 2024 für immer von uns gegangen. Wir , die Gehörlosengemeinschaft, trauern sehr um ihn und werden ihn als einen der Großen unserer Kultur- und Sprachgemeinschaft in Erinnerung behalten.
Im Jahr 1971 gaben Wolfgang Schmidt, Heiko Zienert und Alexander von Meyenn eine linke Zeitschrift „Aktuelle Informationen für Gehörlose“ (kurz: AIG) heraus, mit dem Ziel, die damalige Bildung für Gehörlose in der Bundesrepublik zur Diskussion zu bringen und andere Bildungssysteme, wie die in den USA und der damaligen UDSSR, zum Vergleich mit einzubeziehen. Darüber hinaus wurde auch kritisch über die Verbände der Gehörlosen berichtet.
Kurz darauf war Wolfgang Schmidt einer der ersten drei gehörlosen Studierenden in Hamburg, und zwar in seinem Studienfach Sozialpädagogik. In der Samuel-Heinicke Schule in Hamburg war er sowohl als Sozialpädagoge als auch als Lehrer tätig und vermittelte den Schüler*innen Selbstbewusstsein und eine Identität als gehörloser Mensch. Weiterhin war er Mitgründer der Deutschen Gehörlosen-Sportjugend und leitete als Bildungsreferent etliche Jugendseminare. Durch sein Engagement konnten viele gehörlose T eilnehmer*innen eine Jugendleiterlizenz erwerben.
1980 flog er mit seinen Schulkollegen, im Auftrag der Gesellschaft zur Förderung der Gehörlosen in Hamburg e.V ., nach Washington DC, um an der Gallaudet University für Hamburg die Möglichkeiten eines Ausbildungskonzept für Dolmetschende zu ermitteln. Dabei gewann Schmidt tiefgreifende Erkenntnisse durch die US-Gehörlosengemeinschaft und ihre Gebärdensprache (ASL). Zurück in Hamburg setzte er sich für den Einsatz der Deutschen Gebärdensprache und die berufsbegleitende Dolmetscherausbildung ein.Für diese Ausbildung nahm er seine Freunde, Zienert und von Meyenn, als Dozierende mit, da er diese seinen hörenden Kollegen nicht allein überlassen wollte. Hierzu organisierte er 1981 auch einen Workshop, mit einem ASL-Linguisten und einem ASL-Dozenten aus den USA, für Interessierte aus der ganzen Bundesrepublik, um zu zeigen, dass die Deutsche Gebärdensprache – wie ASL – eine vollwertige und den Lautsprachen ebenbürtige Sprache ist.
Durch Kontakte zu Prof. Dr . Siegmund Prillwitz (hörend), brachte Schmidt auch Zienert und von Meyenn zu den Treffen mit, um gemeinsam über die Deutsche Gebärdensprache zu diskutieren. Diese fanden zunächst auf privater Basis statt, in der Kommunikation wurden sie dabei durch Regine Leven (Coda) unterstützt. Aus diesen Diskussionsrunden entstand später eine Forschungsstelle mit dem Ziel, die DGS in ein wissenschaftliches Fundament zu betten. Ein sogenanntes „goldenes Buch“ mit Skizzen zur Grammatik der DGS wurde erstellt und als eine richtungsweisende Grundlage der Sprachwissenschaft betrachtet.
1985 wurde dieses Buch beim Kongress im CCH in Hamburg präsentiert und entsprechende Themen in DGS vorgetragen. Eine gewisse Unruhe machte sich unter den Kongressteilnehmer*innen breit, denn es war zu dieser Zeit in der Bundesrepublik einmalig, dass DGS-Kurse für Lehrende der Gehörlosenschule in Hamburg angeboten werden sollten.
Wolfgang Schmidt hat maßgeblich an der Entstehung der Forschungsstelle mitgewirkt, die sich zum „Institut für Deutsche Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser“ entwickelt hat. Nicht nur das, er hat auch die Gehörlosengemeinschaft zwecks Unterstützung zur Anerkennung der Gebärdensprache mobilisiert, und zwar auf verschiedenen Wegen und auf rhetorisch eindrückliche Weise.
Privat war Schmidt ein guter und erfolgreicher Sportler in den verschiedensten Disziplinen. Bei der Leichtathletik lernte er seine Frau Dörte kennen, sie heirateten und bekamen die gemeinsame Tochter Sara. Er spielte gerne mit seinen Freunden Skat und beschäftigte sich mit Deaf History.
Wir werden Wolfgang Schmidt als einen freundlichen, engagierten und offenen Menschen und einen kritischen Betrachter der Gehörlosengemeinschaft in Erinnerung behalten. Mit seiner Frau Dörte und ihrer Familie trauen wir gemeinsam um ihn.
Alexander von Meyenn, ehemaliger DGB-Präsident
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